Während andere Bands die schwierigen letzten Jahre genutzt haben, um sich in ihren Archiven zu verlieren oder sogar getrennte Wege zu gehen, hat sich Holler My Dear neu erfunden – vorläufig zumindest. Dank Verpflichtung von Saxophonist und Komponist Wanja Slavin (u.a. LIUN and The Science Fiction Band) als Produzent hat die Berliner Band jemanden gesucht und gefunden, der sie völlig neu sieht. Oder vielmehr hört. Und tatsächlich ist das Ergebnis überraschend. Statt der gewohnt warmen Akustikklänge mit dezentem Hippie-Einschlag werden die Stücke von einem im besten Sinne verschwommenen, das heißt: mehrdeutigen und auch mysteriösen elektronischen Sound regiert, dessen hervorstechendstes Merkmal seine komplexe Architektonik ist, die viele Klangflächen übereinander schichtet.
Herausgekommen ist eine EP, deren titelgebender Opener ein regelrechtes Elektronikgewitter vom Zaune bricht, das von Ferne die dekadent-düstren Echos von Achtzigerjahrewave, von der Band selbst nicht ohne Augenzwinkern als „Kraut-Folk“ bezeichnet, hören lässt.
Dies schreit regelrecht nach einer energetischen Live-Umsetzung. Nach über 200 Konzerten im In- und Ausland mit Highlights wie dem Eurojazz Festival Mexico, Fusion, Xjazz Festival, Jarasum Festival Korea oder Reeperbahn Festival ist die passionierte Live-Band mehr als ready!
Die Songs bestechen durch rhythmische Mehrdimensionalität und Tiefe. Die Grooves erinnern an uralte, wenngleich nicht näher bezeichnete Stammesrituale und glänzen an anderer Stelle durch Ultramodernität - dunkle R&B Beats, die irgendwo zwischen bezwingendem Billie-Eilish-Groove, minimalistischem HipHop Noir und hypnotischem Trap ihre Zelte aufgeschlagen haben.
Da ist schon noch ein Rest des Glitzers der letzten Platte – doch hat sich darüber jetzt eine Art Filter Noir gelegt. Trotz aller Liebe zum Detail, das sich in hier Überlagerndem, dort Kreuzendem, immer aber mit Unvorhergesehenen zeigt, ist es eine vollkommen uneitle, in die Tiefe gehende Musik, die sich auf Aftermath in einer Art Momentaufnahme einer Band im Ausnahmezustand versammelt hat.
Besetzung:
Laura Winkler: Gesang, Synth
Stephen Molchanski: Trompete, Gesang
Fabian Koppri: Mandoline, Gitarre
Valentin Butt: Akkordeon
Lucas Dietrich: Bass
Max Santner: Schlagzeug